ARC Main Page Warsaw Ghetto Uprising Der Stroop-Bericht

Ein berühmtes Holocaust-Foto

Letztes Update 6. Juli 2006







Dieses Foto ist eines der bekanntesten und eindrucksvollen Fotos des Holocaust. Während die Identität des deutschen SS-Mannes, der die Maschinenpistole auf das Kind richtet, geklärt ist, weiß man nicht genau, wer der kleine Junge war. Die Namen einiger anderer Personen im Foto sind mittlerweile bekannt geworden.
Das Foto ist Bestandteil des infamen Berichtes "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr!", den der SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop, für Heinrich Himmler und Friedrich Wilhelm Krüger in drei Exemplaren anfertigte.

Siehe Auszüge aus Richard Raskins Buch A Child at Gunpoint:

1. Der Junge auf dem Foto
Es gibt vier mögliche Identitäten für den kleinen Jungen.

1.1. Artur Dab Siemiatek
Dieser Name wurde schon 1950 erwähnt, doch erst zwischen zwischen 1977 und 78 legte Jadwiga Piesecka, Einwohnerin von Warschau, ein von ihr am 24. Januar 1977 unterzeichnetes Dokument vor. Darin gibt sie an, dass der Junge auf dem Foto Artur Siemiatek war, 1935 geboren in Lowicz. Er war der Sohn von Leon Siemiatek und Sara Dab und der Enkel des Bruders der Unterzeichnerin, Josef Dab.
Im folgenden Jahr, am 28. Dezember 1978, wurde in Paris ein ähnliches Dokument vom Ehemann Jadwiga Pieseckas verfasst, Henryk Piasecki.

1.2. Tsvi Nussbaum
1982 meldete sich ein 47 Jahre alter Hals-, Nasen- und Ohrenspezialist in Rockland County im Staat New York mit folgender Aussage: 1943, im Alter von 7 Jahren, sei er in Warschau inhaftiert gewesen und von einem vor ihm stehenden SS-Mann aufgefordert worden, die Hände zu heben, wobei dieser ihn mit einer Waffe bedrohte. Obwohl Dr. Nussbaum sich nicht daran erinnern konnte fotografiert worden zu sein, glaubte er an die Möglichkeit, dieses Kind gewesen zu sein. Er war sich nicht ganz sicher, doch andere meinten, er sei das Kind auf dem Foto.
Zwei Faktoren sprechen allerdings stark gegen diese Annahme: Erstens war er nie im Ghetto gewesen, obwohl er in Warschau in Haft war. Zweitens erinnerte er sich genau daran, am 13. Juli 1943 gefangen genommen worden zu sein. Das war aber fast 2 Monate nach Fertigstellung des Stroop-Berichtes.
In den frühen 30er jahren emigrierten Nussbaums Eltern von Polen nach Palästina, wo Tsvi im Jahre 1935 geboren wurde. Nachdem der Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina ausgebrochen war, kehrte die Familie wieder nach Polen zurück, wo sie sich 1939 in Sandomierz niederließ.
1942 wurden seine Eltern von den Nazis ermordet. Er kam nach Warschau und lebte mit Tante und Onkel in einem Versteck im "arischen" Teil der Stadt. 6 Monate lang sorgten sie sich um den Jungen, dann fielen sie der Gestapo in die Hände. Die Nussbaums teilten das Schicksal vieler anderer verzweifelter Juden im Hotel Polski und wurden auf die "Palästina-Liste" gesetzt. Am 13. Juli 1943 kamen LKWs, um sie abzuholen. Die Fahrt ging aber nicht nach Palästina, sondern nach dem KZ Bergen Belsen. Dort wurden sie in einer Sonderbaracke untergebracht, erhielten besseres Essen und mussten nicht arbeiten.
Wenn der Junge auf dem Foto Tsvi Nussbaum sein soll, müsste das Foto vor dem Hotel Polski aufgenommen worden sein, aber nicht im Ghetto. Nach allgemeiner Auffassung sind jedoch sämtliche Aufnahmen im Ghetto gemacht worden.

Dr. Lucjan Dobroszycki bezweifelt in einem Artikel der New York Times die Identität des Jungen als Tsvi Nussbaum:
"Die Szene zeigt eine Straße, nicht den Hof, in dem die "Hotel Polski-Razzia" statt fand. Einige der Juden tragen Armbänder, die sie jedoch im "arischen" Teil von Warschau sicherlich abgenommen hätten. Die deutschen Soldaten hätten vor dem Hotel keine Kampfuniformen tragen müssen. Die schwere Kleidung der meisten Juden legt die Vermutung nahe, dass das Foto im Mai aufgenommen wurde - dem Zeitraum, als General Stroop seinen Bericht anfertigte - und nicht im Juli. Darüber hinaus wurde jedes andere Foto im "Stroop-Bericht" im Ghetto Warschau aufgenommen."

Tsvi Nussbaum kommentierte:
"Ich behaupte gar nichts - es gibt keine Belohnung. Ich fragte nicht nach dieser Ehre. Ich denke, ich bin es, aber ich kann es ehrlicherweise nicht beschwören. Eineinhalb Millionen jüdischer Kinder wurde befohlen, ihre Hände zu heben."

Schließlich verglich Dr. K.R. Burns, Forensiker an der Universität von Georgia, das berühmte Foto mit einem Passbild von Tsvi Nussbaum, das 1945 aufgenommen worden war. Dabei wurde er von einem Experten im Vergleich von Fotos unterstützt. Danach kam er zu diesem Ergebnis:
"Nach Untersuchung der beiden Fotos zeigt sich ein wichtiger Unterschied, obwohl Mund, Nase und Wange übereinstimmen: Die Ohrläppchen des 1943er Jungen sind anliegend, die des 1945er Jungen liegen nicht an. Diese angeborene Eigenschaft kann sich auch im Alter nicht ändern, und der Unterschied zeigt an, dass die Fotos nicht denselben Jungen darstellen."

Der Eingang des ehemaligen Hotel Polski in der Dluga-Straße 29 wurde auch mit dem 1943er Foto verglichen, doch es nicht erkennbar, ob es dasselbe Gebäude ist.

1.3. Levi Zelinwarger
Ende 1999 nahm der damals 95jährige Avrahim Zelinwarger Kontakt auf mit dem Ghetto Fighters House in Israel. Er informierte das Museum darüber, dass der Junge auf dem Foto sein Sohn Levi sei. Daraufhin ergänzte GFH seinen Foto-Kommentar:
Nach der Aussage von Abraham Zelinwarger aus Haifa ist der Junge sein Sohn Levi, 1932 - ?. Er meint, dass das Foto im Ghetto aufgenommen wurde, und zwar in der Kupiecka-Straße, in der Nähe der Nalewki-Straße. Der Vater, von Beruf Damenfrisör, arbeitete damals als Zwangsarbeiter beim Beseitigen von Trümmern und Schäden in einer ausgebrannten Gasanlage in Warschau. Anfang 1940 konnte er auf sowjetisches Gebiet fliehen.

Avrahim Zelinwarger bestätigte dem Autoren, dass die Frau neben dem Jungen dessen Mutter ist, Chana Zelinwarger.
Avrahim Zelinwarger glaubte, dass seine Frau, sein 11jähriger Sohn Levi und seine 9jährige Tochter Irina 1943 in einem KZ umgekommen sind.

1.4. Ein anonymer Überlebender
1978 kontaktierte ein Geschäftsmann aus London den The Jewish Chronicle. Er behauptete, dass er der kleine Junge gewesen sei, nicht Artur Dab Siemiatek. Dieser Mann bat darum, seinen Namen nicht zu veröffentlichen. In seiner Aussage behauptete er, dass das Foto 1941 aufgenommen worden sei, und er erinnere sich daran, dass er keine Socken trug. Er hatte allerdings nur einen Teil des Fotos sehen können und wusste nicht, dass der Junge auf dem Foto Socken trug.

2. Andere Juden, die auf dem Foto identifiziert worden sind

Hanka Lamet
Matylda Lamet Goldfinger
Leo Kartuzinsky
Golda Stavarowski




















In einer Yad Vashem Zeugenaussage (Nr. 90.540 von 1994) wurde das kleine Mädchen ganz links auf dem Foto wurde von ihrer Tante Esther Grosbard-Lamet (Miami Beach / Florida) identifiziert als Hanka Lamet. Im selben Dokument ist 1937 als Geburtsjahr und Warschau als Geburtsort angegeben. Ort und Umstände ihres Todes sind verzeichnet mit "Majdanek - in die Gaskammer gebracht".

Die USHMM-Webseite weist auch darauf hin, dass die Frau links neben dem kleinen Mädchen ihre Mutter Matylda Lamet Goldfinger ist.

Der Junge, der den weißen Sack trägt, wurde von seiner Schwester Hana Ichengrin als Leo Kartuzinsky identifiziert, gemäß einer E-Mail von Yad Vashem an Richard Raskin.

Nach USHMM wurde die Frau im rechten Hintergrund von ihrer Enkelin Golda Shulkes (Victoria / Australia) als Golda Stavarowski identifiziert.

3. Der SS-Mann: Josef Blösche

Die einzige Person im Foto, die zweifelsfrei identifiziert werden konnte, ist der SD-Mann, der seine Maschinenpistole in Richtung auf den kleinen Jungen hält.
Es war der SS-Rottenführer Josef Blösche, ein gefürchteter Mann, der sich oft mit SS-Untersturmführer Karl–Georg Brandt und SS-Oberscharführer Heinrich Klaustermeyer zusammentat, um die Ghettobewohner mit Menschenjagden zu terrorisieren und sie wahllos zu töten.

Blösche wurde 1912 in Friedland (ehemaliges "Sudetenland") geboren. Nachdem er SS-Mann geworden war, bewachte er die Grenze am Fluss Bug bei Platerow. Im Mai 1941 wurde er zur SS in Siedlce versetzt. Nach seinem Dienst in einer Einsatzgruppen-Einheit in Baranowitsche wurde er zur Sicherheitspolizei in Warschau versetzt, wo er schließlich bei der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto im April 1943 und des polnischen Aufstandes im August 1944 eingesetzt wurde.

In Haft machte Blösche folgende Aussage:
"Ich habe die vorgelegte Fotokopie betrachtet. Was die Person in SS-Uniform betrifft, die vor einer Gruppe SS-Männer steht, eine Maschinenpistole im Anschlag hält und einen Stahlhelm mit Motorradbrille trägt, das bin ich.
Das Foto zeigt, dass ich als Mitglied des Gestapo-Büros im Warschauer Ghetto, zusammen mit einer Gruppe SS-Männer, eine große Anzahl jüdischer Bürger aus einem Haus treibe. Die Gruppe jüdischer Bürger besteht vorwiegend aus Kindern, Frauen und alten Leuten, die mit erhobenen Armen durch eine Einfahrt aus einem Haus getrieben wurden.
Die jüdischen Einwohner wurden dann nach dem sogenannten Umschlagplatz gebracht, von dem sie nach dem Vernichtungslager Treblinka transportiert wurden.
"
Gezeichnet Josef Blösche.

Blösche machte in einem weiteren Verhör noch eine andere Aussage:
"Ich kann mich jetzt an eine Erschießung von jüdischen Einwohnern im Warschauer Ghetto erinnern. Sie fand zu einem Zeitpunkt statt, als es keine Transporte nach dem Vernichtungslager Treblinka gab. Im SD-Büro im Ghetto gab Brandt jedem von uns eine kleine Schachtel mit Pistolenmunition.
Neben mir waren Rührenschopf, Klaustermeyer und andere Gestapo-Mitglieder, an deren Namen ich mich heute nicht mehr erinnern kann. Brandt führte uns in die Mitte des Ghettos. Ich kann mich nicht mehr an die genaue Zeit erinnern, weiß aber noch, dass die Erschießung in einem Hof stattfand, zu dem man durch eine Einfahrt von der Straße aus kam. Darüber hinaus weiß ich noch, dass während der Erschießung ein Lastwagen mit jüdischen Einwohnern vorbei fuhr. In dem Moment stand ich am Eingang zum Hof. Wie viele Gestapo-Männer da waren, kann ich nicht mehr genau sagen, es können zwischen 15 und 25 gewesen sein.
"
Gezeichnet Josef Blösche, Berlin, 25. April 1967

Für seinen Einsatz und Eifer während des Aufstandes im Warschauer Ghetto wurde Blösche mit einem Orden ausgezeichnet
In seinem Prozess in Erfurt im April 1969 wurde Blösche für schuldig befunden, Kriegsverbrechen begangen zu haben und am Morgen des 19. April 1943 an der Erschießung von mehr als 1.000 Juden im Hof eines Gebäudekomplexes teilgenommen zu haben.
Er wurde am 29. Juli 1969 in Leipzig durch Genickschuss hingerichtet. Blösche wurde 57 Jahre alt.

Quellen:
Richard Raskin. A Child at Gunpoint. Aarhus: Aarhus University Press, 2004
Helge Grabitz und Wolfgang Scheffler. Letzte Spuren. Berlin: Edition Hentrich, 1988
WDR TV Dokumentation (von H. Schwan). Der SS-Mann Josef Blösche. 2003

© ARC 2006