ARC Main Page Die Besetzung Osteuropas

Poniatowa

Letztes Update 28. Mai 2006





Lagerkarte
Interaktive Lagerkarte mit Fotos *
Das Zwangsarbeitslager in Poniatowa lag 30 km westlich von Lublin.

Kurz vor 1939 wurde in Poniatowa mit dem Bau einer Ausrüstungsfabrik für die polnische Armee begonnen. 21 Wohnblocks für Betriebsangehörige und erste Fabrikgebäude wurden in einem Wald in der Nähe der Stadt errichtet. Eine Schmalspurbahn wurde gebaut, die Poniatowa mit Opole Lubelskie und dem Hauptbahnhof in Naleczow verband. Der Kriegsausbruch verhinderte allerdings die Eröffnung der Fabrik. Bis 1941 nutzt nun die Deutsche Wehrmacht die Einrichtungen.
Im September 1941 beschlossen die Nazis, die Gebäude als Kriegsgefangenenlager für 25.000 sowjetische Soldaten zu verwenden. Die Fabrik wurde mit Stacheldraht umzäunt und war von 16 Wachtürmen umgeben. Das Lager erhielt die Bezeichnung "Stalag 359" (Stalag = Stammlager).
Gefangenentransporte kamen auf dem Bahnhof in Naleczow an. Von dort mussten die Leute nach Poniatowa gehen, wobei sie misshandelt wurden und viele starben. Zwischen September und Dezember 1941 wurden fast 24.000 Gefangene Sowjets in Poniatowa eingeliefert.

Rampe der Bahn
Rampe der Bahn *
Haupttor
Haupttor
Die Gefangenen lebten in den Fabrikgebäuden, die dafür allerdings nicht eingerichtet waren und auch keinen angemessenen Raum boten. Manche Gefangene mussten sogar unter freiem Himmel übernachten. Die Unterkünfte waren sehr unhygienisch; es gab keine Gelegenheit sich zu waschen oder die Kleidung zu wechseln. Daher starben viele Gefangene an Typhus oder verhungerten. Anfang 1942 war die Sterberate am höchsten, fast 1.000 Leute starben täglich. Im Frühjahr 1942 waren nur noch etwa 500 sowjetische Gefangene am Leben. Diese Überlebenden (mehrheitlich "Volksdeutsche") entschieden sich schließlich, sich als SS-Hilfswillige einem Training im SS-Ausbildungslager Trawniki zu unterziehen.
Das Gefangenenlager für sowjetische Soldaten wurde schließlich aufgelöst. Die etwa 22.000 Opfer wurden in 32 Massengräbern innerhalb des Lagers vergraben.

Im Oktober 1942 kam Amon Göth (später Kommandant des Zwangsarbeitslagers Plaszow in Krakau) nach Poniatowa und begann mit dem Aufbau eines Arbeitslagers für Juden. Dies war Teil der Aktion Reinhard und entsprach den Vorstellungen Heinrich Himmlers, arbeitsfähige Juden für die Kriegswirtschaft einzusetzen.
Goeth entschied, dass Poniatowa für die Aufnahme von etwa 9.000 Juden eingerichtet werden sollte (siehe die Karte der Zentralbauleitung der SS und Polizei, die den geplanten Ausbau darstellt.

Lagerbaracken
Lagerbaracken *
Das Lager wurde in drei Bereiche eingeteilt: Die Fabrikgebäude, die Verwaltung und das Gefangenenlager mit 30 Wohnbaracken.
Im Oktober 1942 wurden die ersten Juden eingeliefert. Sie kamen aus dem Ghetto in Opole Lubelskie, dem Haupt-Transitghetto im Distrikt Pulawy. Es waren ausgesuchte Juden, hauptsächlich aus Wien und der Slowakei. Die größte Anzahl Juden traf während des Aufstandes im Ghetto Warschau von April - Mai 1943 ein.
Deportation aus Toebbens' Fabrik
Deportation aus Toebbens' Fabrik,
Warschau, Frühjahr 1943
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Diese Gruppe von etwa 15.000 Juden hatte für die Walter Toebbens Werke im Ghetto Warschau gearbeitet. Kleine Transporte von Toebbens waren schon im Februar und März 1943 nach Poniatowa deportiert worden. Der deutsche Industrielle Toebbens ermutigte seine jüdischen Arbeiter zum Wechsel nach Poniatowa, weil er dachte, dies sei die einzige Chance zum Überleben. Er hatte gute Beziehungen zu Odilo Globocnik, und beide einigten sich darauf, den gesamten Betrieb nach Poniatowa zu verlagern. Dort sollten die Produktionsbetriebe Teil der Osti Gesellschaft werden, die im Januar 1933 gegründet wurde zur besseren Ausbeutung der jüdischen Arbeitskräfte im Distrikt Lublin und Ausplünderung des jüdischen Besitzes im Generalgouvernement. Es ist wichtig zu wissen, dass die Walter Toebbens Werke damals der größte Betrieb im Warschauer Ghetto war.
Kleinere Gruppen von Juden aus den Ghettos in Belzyce und Staszow wurden ebenfalls nach Poniatowa gebracht. Im Mai 1943 traf eine Gruppe von 807 Juden ein, die im Vernichtungslager Treblinka (wohl einmalig) selektiert worden waren.

Die Juden, die nach Poniatowa deportiert worden sind, waren hauptsächlich Spezialarbeiter bzw. junge, kräftige Menschen. Trotzdem gab es auch ganze Familien mit Kindern im Lager, sowie reiche und einflussreiche Juden aus dem Warschauer Ghetto, z.B. Familien von Angehörigen des dortigen Judenrates. Auch eine große Gruppe von Doktoren, Künstlern, Industriellen und Händlern aus Warsaw befand sich in Poniatowa. Die privilegierteste Gruppe waren österreichische und slowakische Juden. Sie besetzten die besten Posten, wurden jedoch von Mitgefangenen der Kollaboration mit der SS beschuldigt.
Die Lagerelite, etwa 3.000 Gefangene, wohnten mit ihren Familien in der "Siedlung". Hier waren die Lebensbedingungen viel besser. Sie durften mit polnischen Bauern aus der Umgebung handeln, hatten ein eigenes Theater und eine Küche.
Die größte Gruppe Gefangener lebte jedoch in 30 Baracken im Umfeld der Fabrik. Jede Baracke war mit ca. 300 Menschen überfüllt. Die schlimmsten Bedingungen herrschten allerdings in der Fabrikhalle, wo nachts tausende Gefangener schliefen. Hier gab es nur 4 Wasserhähne. Alles war dreckig und die Luft verpestet.
In der Lagerküche wurde die tägliche Ration ausgeteilt: Kaffee ohne Zucker zum Frühstück, Wassersuppe zum Mittagessen und 250 g Brot und Kaffee am Abend. Die nicht arbeitenden Gefangenen erhielten nur 100 g Brot und Kaffee. Diejenigen, die noch Geld bzw. Wertsachen besaßen, kauften illegale Esswaren auf dem "Schwarzmarkt", mussten allerdings einen 50%igen Aufschlag auf den normalen Preis zahlen.

Schneiderei
Schneiderei *
SS-Gebäude
SS-Gebäude * *
Die meisten Gefangenen, etwa 10.000, arbeiteten für die Walter Toebbens Werke. Sie stellten vorwiegend Textilien und Lederprodukte her. Sie mussten auch angelieferte Kleidung der Opfer der Aktion Reinhard sortieren. Die gesamte Produktion der Walter Toebbens Werke war auf die Versorgung der Wehrmacht ausgerichtet. Die meisten Arbeiter nähten Uniformen. Diese Arbeiter wurden besser behandelt als andere Häftlinge. Gefangene mit einer Nummer über 10.000 bauten Baracken, Straßen und Kanäle oder fällten Bäume. Trotz dieser anstrengenden Arbeiten behandelte die SS diese Gefangenen brutaler als andere.
Bis August 1943 waren die Bedingungen in Poniatowa relativ besser als in vielen anderen Lagern dieser Art. Die partielle bessere Behandlung von Gefangenen sollte demonstrieren, dass nicht alle Juden sterben würden und eine gewisse Chance hätten zu überleben.

Im August 1943 besuchte Odilo Globocnik das Lager. Seitdem behandelte man die Insassen als KZ-Häftlinge. Jeder Verstoß gegen die Lagerordnung wurde nun mit dem Tode bestraft. Es gab nun kollektive Hinrichtungen, z.B. wenn ein Häftling ausbrechen konnte. Täglich fielen nun viele Juden der SS zum Opfer. Die Leichen wurden auf einem Eisenbett eingeäschert, unter dem ein Feuer brannte. Dies wurde gemacht, bis das "richtige" Krematorium fertiggestellt war.

Die SS-Lagermannschaft Poniatowas hatte vorher im Vernichtungslager Belzec "gearbeitet". SS-Obersturmführer Gottlieb Hering, der letzte Kommandant von Belzec, wurde im Frühjahr 1943 Lagerchef in Poniatowa. Sein Vertreter war Wallerang, den die Gefangenen "Handschuh" nannten, weil er meistens weiße Handschuhe trug. Der schlimmste Henker in Poniatowa war Heinrich Gley, ebenfalls ein SS-Mann aus Belzec. Die gesamte SS-Mannschaft bestand aus nur 40 SS-Männern. Der zivile Direktor der Fabrik war Ernst Jahn, ein "Volksdeutscher", der fließend polnisch,
Fajnkind
Fajnkind *
deutsch, englisch und hebräisch sprach. Er widersetzte sich öffentlich einem SS-Mann im Lager und wurde möglicherweise durch die SS in Tomaszow Mazowiecki ermordet, bevor das Lager liquidiert wurde. Sein Stellvertreter, Bauch, nahm schließlich sogar an der Ermordung von Häftlingen teil. Andere Aktion Reinhard-Männer, die in Poniatowa dienten: Ernst Zierke, Hans Zänker und Robert Jührs.
Unter den ukrainischen Wachmännern waren auch "Trawniki-Männer" aus Belzec.

Unter den Gefangenen gab es viele Widerstandskämpfer aus dem Warschauer Ghetto. Sie organisierten eine jüdische Kampfgruppe innerhalb des Lagers. Ihr Kommandant wurde Majlech Fajnkind. Diese Gruppe hatte Kontakt mit dem jüdischen Untergrund in Warschau und mit "Zegota", dem Rat für jüdische Hilfe im besetzten Polen. Dank dieser Kontakte konnten Geld, Medizin, Waffen und Instruktionen ins Lager geschmuggelt werden. "Arische" Ausweise wurden gefälscht und Häftlingen zur Verfügung gestellt, die ausbrechen wollten. Die meisten Flüchtlinge schlugen sich nach Warschau durch, und Überlebende konnten daher später die Geschichte des Lagers aufschreiben. Der jüdische und polnische Untergrund publizierte Berichte über Poniatowa, die heute die beste Quelle für die tatsächlichen Ereignisse sind. Der Widerstand im Lager plante diverse Aktionen gegen die SS, doch die Organisation war nur unzureichend dafür ausgerüstet.

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Äußerer Doppelzaun
Das Lager wurde am 4. November 1943 im Rahmen der Aktion Erntefest liquidiert. Einige Tage vor ihrer Exekution hatten die Gefangenen ihre eigenen Massengräber auszuheben. Einige Gräber wurden innerhalb des Lagers vor dem Gebäude der Lagerverwaltung ausgehoben, andere außerhalb (5 km von der Wronow Straße entfernt). Den Gefangenen sagte man, sie müssten Splittergräben für den Luftschutz ausheben.
Am 4. November 1943, um 5 Uhr morgens, mussten sich alle Gefangenen auf dem Apellplatz aufstellen. Die SS befahl ihnen, eine große Lagerhalle aufzusuchen, in der sie eingeschlossen wurden. Nach und nach holte die SS 50er-Gruppen heraus. Die Leute mussten ihre Schuhe ausziehen und ihre Wertsachen sowie persönliche Dinge in Körbe legen. In einer nahe gelegenen Baracke befahl man den Menschen sich zu entkleiden und dann zu einer Grube zu gehen. Die Opfer mussten sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden der Grube legen. Dann wurden alle erschossen. Während der Exekutionen überdeckte Lautsprechermusik die Schreie und Schüsse.
In einer Baracke hatten sich die Mitglieder des Untergrundes versammelt und begannen, auf die SS zu schießen. Die SS legte daraufhin Feuer an das Gebäude und verbrannte alle Insassen bei lebendigem Leibe. Polnische Feuerwehrleute aus Opole Lubelskie bemerkten den Rauch über dem Lager.
An diesem Tag wurden etwa 14.000 Menschen erschossen. Die SS befahl einer Gruppe von 150-200 ausgesuchten Juden, die Leichen zu verbrennen. Sie lehnten das ab und wurden ebenfalls erschossen. Daraufhin trafen Juden aus Majdanek in Poniatowa ein, die die Kleidung der Opfer einsammelten und deren Leichen in den folgenden Wochen verbrannten.

Es gibt nur zwei bekannte Augenzeugenberichte über die Aktion Erntefest in Poniatowa. Nach dem Krieg schrieben zwei Frauen, Estera Rubinsztajn und Ludwika Fiszer, ihre Erlebnisse auf, Beide hatten unter den Körpern der Erschossenen überlebt.

Heute (2004) gibt es in Poniatowa 6 Denkmäler, auf denen aber das jüdische Arbeitslager und die Exekutionen der Aktion Erntefest nicht erwähnt werden.


Fotos:
GFH *
Artur Podgorski *

Quellen:
Zeugenberichte des Jewish Historical Institute in Warschau.
Berichte des jüdischen und polnischen Untergrundes, Jewish Historical Institute in Warschau.
Dokumentation der Untersuchungen, organisiert von der Kommission für die Erforschung von Naziverbrechen in Lublin, 1947 und 1967. Institut für die nationale Erinnerung in Lublin und Staatsmuseum Majdanek.
Bericht von Ludwika Fiszer: www.zchor.org/poniatowa/fiszer.htm
Tatiana Berenstein: Obozy pracy przymusowej dla Zydow w dystrykcie lubelskim (The Compulsory Work Camps for the Jews in Lublin District). "Biuletyn ZIH", 1957, nr 54.
Nachman Blumental: Materialy i dokumenty z czasow okupacji niemieckiej w Polsce (The Materials and Documents from the Time of the German Occupation in Poland). Vol. I, Obozy (The Camps). Lodz 1946.
Ryszard Gicewicz: Oboz pracy w Poniatowej 1941-1943 (The Work Camp in Poniatowa 1941-1943). "Zeszyty Majdanka", Vol. X (1980).
Dank an Artur Podgorski (Poniatowa-Forscher), Polen, für seine große Unterstützung.

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