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Koscian und die Euthanasie in Polen

Letztes Update 30. August 2006






In Polen wird die Nazi Euthanasie "Pseudo-Euthanasie" genannt.
Koscian (47 km von Poznan entfernt) war einer der ersten Orte, wo die Euthanasie durchgeführt worden ist - früher als in Deutschland oder Österreich.
Sicherlich ist der Grund für die "Säuberung" der polnischen psychiatrischen Anstalten zu finden im Bestreben, Platz zu machen für Verwundete des beginnenden Krieges.

Heilanstalt Koscian
Heilanstalt Koscian
Das Bernhardinerkloster in Koscian wurde zwischen 1603 und 1611 errichtet. Seine Gebäude wurden ab 1827 als Nervenheilanstalt genutzt, als das Gebiet noch zu Preußen gehörte. Die Patienten hausten in fürchterlichen Verhältnissen: Einzelzellen, in denen sie auf Betonfußboden in ihren eigenen Exkrementen standen. Der neue Leiter, Dr. Oskar Bielawski, konnte die Zustände erheblich verbessern und führte ab Oktober 1929 moderne Behandlungsmethoden ein.

Anfang 1940* wurde das Hospital vom "SS-Sonderkommando Lange" und der Gau-Selbstverwaltung Poznan übernommen. Das polnische Personal* verließ das Hospital und ließ 612 Patienten zurück.
Von nun an wurde die Anstalt von Dr. Johann Keste (Psychiater), Dr. Fritz Lemberger (Gynäkologe), Hans Meding (Medizinalbeamter) und Wilhelm Haydn (Pflegeleiter) geleitet.

Plan der Anstalt
Plan der Anstalt
Anfang Januar 1940 erschien ein "SS Sonderkommando", das eine dunkelbraune Flasche mit einer Mischung aus Morphin und Scopolamin mitbrachte zur Ruhigstellung der selektierten Opfer.
Wahrscheinlich am 15. Januar 1940 erhielt eine erste Gruppe von nackten Patienten eine Injektion des Beruhigungsmittels und wurde eingesperrt in einen Vergasungswagen mit der zur Tarnung dienenden Werbeaufschrift "Kaiser's Kaffee Geschäft". Natürlich war diese Firma nicht in die Aktion einbezogen. Die Gaswagen waren innen mit Blech verkleidet, auf dem Boden der Ladefläche lagen Holzroste. Eine Deckenlampe konnte den Innenraum erhellen, so dass man durch ein Guckloch in der hinteren Tür die Vorgänge im Inneren beobachten konnte.
Der Fahrer (ein SS-Mann) startete den Motor, die Abgase wurden in den Laderaum geleitet, um die Opfer zu töten. Dann fuhr der Wagen von Koscian nach Jarogniewice (ein Dorf an der Straße Koscian - Poznan, etwa 15-20 km entfernt von Koscian). Die Fahrt dauerte etwa 15-20 Minuten. Als der Wagen endlich den Wald bei Jarogniewice erreichte, lebte niemand mehr.
Im Wald mussten Gefangene (wahrscheinlich Juden aus dem KZ Fort VII in Poznan) die Laderaumtüren öffnen, die Vergasten ausladen und in Massengräbern verscharren. Eine Woche später, am 22. Januar 1940, wurde eine zweite Gruppe von Patienten auf dieselbe Weise umgebracht. Derselbe Gaswagen wurde später (März 1940 bis Juli/August 1941) im Kochanowka Krankenhaus bei Lodz benutzt. Neben geistig Behinderten wurden nun auch blinde Kinder aus Lodz umgebracht.

Denkmal in Jarogniewice
Denkmal in Jarogniewice
Während dieser Woche wurden insgesamt 534 Patienten getötet, 237 Männer und 297 Frauen. Doch dies war nur der Beginn einer noch größeren Untat in Koscian! Am 9. Februar traf ein Eisenbahntransport mit 2.750 jüdischen und nicht-jüdischen Menschen aus deutschen Altersheimen und Heilanstalten in Koscian ein. Jeder wurde auf dieselbe Art umgebracht. Höchstwahrscheinlich verließ der letzte Transport am 24. Februar 1940 Koscian in Richtung Jarogniewice. Insgesamt verloren 3.334 Menschen ihr Leben während der Euthanasie in Koscian.

Im Juni 1940 tauchten Angehörige der "Zentrale für Krankenverlegung" aus Kalisz auf. Sie schickten gefälschte Todesbescheinigungen an die Familien der Opfer, zur Beruhigung. Auf Blankoformularen ("der Tod wurde verursacht durch...") wurden falsche Todesursachen eingetragen wie Schlaganfall, Herzversagen etc. um die wahre Todesursache zu verschleiern. Auf dem Anstaltsfriedhof wurden falsche Gräber hergerichtet, sogar Friedhofsgebühren wurden den Verwandten in Rechnung gestellt. Das Hospital in Pruszkow bei Warschau wurde auch als angeblicher Sterbeort angegeben, an dem dorthin transportierte Patienten an "natürlichen" Todesursachen gestorben seien.

Am 25. Februar 1944 trafen 25 SS-Männer vom "SS-Sonderkommando Bothmann" aus Poznan im Wald von Jarogniewice ein. Unter ihnen waren die Männer Frank, Grimm, Haase, Klaus, Rollmann, Rubner (Rübner?), Schneider, Schwarz und Zimmermann1. Sie exhumierten die Leichen, verbrannten sie in Massengräbern und / oder vernichteten sie unter Einsatz von gelöschtem Kalk und Wasser. Dann verstreuten sie die Asche im Wald und pflanzten Fichten, um die ehemaligen Massengräber* zu tarnen.

Ähnliche Aktionen fanden in anderen polnischen Heilanstalten statt: In Warta, Owinska, Poznan Fort VII, Tworki in Pruszkow, Gostynin, Kobierzyn bei Krakau, Dziekanka in Gniezno, Otwock bei Warschau, Kocborowo in Starogard Gdanski, Kochanowka bei Lodz, Chelm bei Lublin, Choroszcz bei Bialystok, Lubliniec bei Czestochowa, Obrzyce (ehemaliges deutsches Meseritz-Obrawalde) bei Miedzyrzec und anderen Städten.

Die Morde wurden nicht immer verheimlicht. Im Hospital von Chelm Lubelski wurden 128 Frauen, 304 Männer und 18 Kinder einfach vor den Augen des Klinikpersonals mit Maschinengewehren erschossen und sofort in zwei großen Gruben begraben. Die SS benötigte die Gebäude als eigene Unterkünfte...
Im Januar 1940 wurden 23 Patienten einer Privatklinik in Iwonicz (die zum Männerkloster St. John gehörte) in einen Wald bei Warzyce (in der Nähe von Jaslo) gebracht und erschossen. Auch hier brauchte die SS Platz, diesmal für das SS-Batallion "Galizien".
Während der Besetzung Polens wurden mindestens 13.000 polnische Patienten getötet. Eine unbekannte Anzahl von Anstaltsinsassen ließ man einfach verhungern.
Polen wurde aber auch Todesort für deutsche Patienten. Ein Tötungsort war z.B. Piasnica bei Wejherowo. Dort wurden etwa 1.200 Patienten von nahe gelegenen deutschen psychiatrischen Kliniken ermordet. Ebenso erging es Patienten aus Stralsund, Ueckermünde, Treptow und Lebork.

Prof. Stanislaw Batawia / Polen listete diese Daten über Euthanasie-Aktionen in Polen auf (GKBZH No 3/1947):

Owinska Hospital (bei Poznan): 15. September - 20. Dezember 1939. Opfer: 1100
Swiecie Hospital (bei Bydgoszcz): September - Oktober 1939. Opfer: 1350
Kocborowo Hospital: 29. November - 20. Dezember 1939. Opfer: 2342
Gniezno Hospital: Dezember 1939, Januar 1940, Juni 1941. Opfer: 1201
Chelm Hospital: 12. Januar 1940. Opfer: 440
Koscian Hospital: Januar - Februar 1940. Opfer: 3334
Gostynin Hospital (bei Warschau): 3. Februar - 3. Juli 1940, 9. Juli. Opfer: 107
Kochanowka Hospital (bei Lodz): 13. - 15. März 1940, 27. - 28. März 1940, Juni - August 1940. Opfer: 629
Warta Hospital (bei Sieradz): 2. - 4. April 1940. Opfer: 499
Choroszcz Hospital (bei Bialystok): 1941. Opfer: 464
Kobierzyn Hospital (bei Krakow): 23. Juli 1942. Opfer: 500
Otwock Hospital (bei Warszawa): August 1942. Opfer: unknown
Lubliniec Hospital (bei Czestochowa): August 1942 - November 1944. Opfer: 221 Kinder
Wilno Hospital (Vilnius?): Opfer: 900



1 1945 - 1947 Untersuchungen des KBZH in Warschau.

Photos: Privatarchiv von Jerzy Zielonka *

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