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Bialystok Ghetto

Letztes Update 6. August 2006





Ghettos
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Ghettokarte
Bialystok liegt in Nordost-Polen, 188 km von Warschau und 54 km von der weißrussischen Grenze entfernt. Im Laufe der Zeit war die Stadt und ihr Umland in die Hände verschiedener Staaten gefallen. 1795 war es Teil von Preußen, 1807 gehörte das Gebiet zu Russland. 1921 fiel Bialystok dann wieder an Polen.
Die Volkszählung von 1931 ergab eine Gesamtbevölkerung von 91.000, von denen ca. 40.000 (43%) Juden waren. Bei Kriegsausbruch, am 1. September 1939, betrug die jüdische Bevölkerung etwa 50.000.

Am 15. September 1939 besetzte die Deutsche Wehrmacht die Stadt. Als Ergebnis des Ribbentrop-Molotov-Paktes wurde Bialystok am 22. September von sowjetischen Truppen übernommen, die sich danach für 21 Monate in der Stadt aufhielten. Im Zuge des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 besetzten deutsche Truppen die Stadt am 27. Juni 1941 erneut. In dieser Zeit stieg die jüdische Bevölkerung der Stadt und ihres Umlandes durch Flüchtlinge auf etwa 60.000 an.
Abgebrannte Synagogue *
Am Morgen des deutschen Einmarsches in die Stadt, der unter den Juden Bialystoks als "Roter Freitag" in Erinnerung blieb, versammelte sich das Ordnungspolizei-Bataillon 309 im Judenviertel an der Großen Synagoge. Ausgerüstet mit automatischen Waffen und Handgranaten begannen die Deutschen, die Juden auf den Straßen und in ihren Häusern umzubringen. Mindestens 700 Juden wurden in der Synagoge eingesperrt, die dann angezündet wurde. Umstehende Juden wurden gezwungen, andere Juden in das schon brennende Gebäude zu schubsen. Wer sich widersetzte, wurde erschossen. An diesem Tag ermordeten die Deutschen 2.000 - 2.200 Juden.
In den ersten zwei Wochen der Besatzung ermordete das Einsatzkommando 9 weitere 4.000 Juden auf einem Feld bei Pietraszek. In den ersten Tagen der Besatzung wurde Bialystok von Heinrich Himmler (8. Juli) und Adolf Eichmann (instruiert durch den Gestapo-Chef Heinrich Müller) besucht. Diese Inspektionstouren, die sich auch auf andere eroberte Städte erstreckten, sollten in Erfahrung bringen, wie sich die ersten Aktivitäten der Einsatzkommandos ausgewirkt hatten.

Gebäude des Judenrates
Ghettozaun *
Zwei Tage nach Beginn der Besatzung zitierte der Militärkommandant den Oberrabbi Dr. Gedaliah Rosenmann und den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Efraim Barasz zu sich und befahl ihnen, einen Judenrat zu bilden. Er bestand aus 12 Personen des öffentlichen Lebens. Einen Monat später wurde schon ein neuer Judenrat gebildet, der doppelt so viele Personen umfasste und von Barasz geleitet wurde.

Am 1. August 1941 wurde ein Ghetto eingerichtet, das sich auf zwei kleine Gebiete erstreckte, die durch den Biala-Fluss geteilt waren. Das Ghetto war von einem Stacheldrahtzaun und einem Holzzaun umgeben. Wie auch in anderen Ghettos war das Gebiet viel zu klein, und zwei oder drei Familien mussten sich ein kleines Zimmer teilen.

Deportation 1941 *
Bis zum 15. August 1941 stand das Gebiet Bialystok unter Militärverwaltung. Danach wurde es Ostpreußen zugeordnet und unterstand der Zivilverwaltung von Erich Koch in seiner Eigenschaft als Oberpräsident von Ostpreußen.
Ein Erlass befahl allen Juden, sich registrieren zu lassen und gelbe Abzeichen auf der Vorder- und Hinterseite der Kleidung zu tragen. Weitere diskriminierende Vorschriften wurden erlassen. Man beschlagnahmte sämtliches jüdisches Vermögen außerhalb des Ghettos. Nahrungsmittellieferungen an die Ghettojuden wurden eingeschränkt. Alle arbeitsfähigen Juden zwischen 15 und 65 wurden nun für Zwangsarbeiten bestimmt. Zwischen dem 18. und 21. September 1941 brachten die Deutschen 4.500 kranke und arbeitslose Juden in das Ghetto Pruzhany, 100 km südlich der Stadt. Die meisten von ihnen wurden bei der Liquidierung dieses Ghettos Ende Januar 1943 ermordet.

Das Ghetto wurde schnell in ein industrielles Zentrum verandelt. Es gab Fabriken, die dem deutschen Industriellen Oskar Steffen gehörten. Die meisten Juden arbeiteten in etwa 10 Fabriken oder anderen, kleineren Betrieben im Ghetto, eine kleinere Anzahl aber ußerhalb des Ghettos in diversen deutschen Unternehmen. Die Nahrungsmittelversorgung durch die deutsche Verwaltung war bestenfalls unregelmäßig. Nur der Schmuggel von Nahrung verhinderte ein massenhaftes Verhungern. In kleinen, verborgenen Ghettobetrieben produzierten die Juden Waren, die sie dann gegen Nahrung von außerhalb eingetauscht wurde. Der Judenrat veranlasste, dass Obst- und Gemüsegärten auf verlassenen Grundstücken im Ghetto angelegt wurden um den Hunger zu mildern. Der Judenrat war auch wichtiger Arbeitgeber für mehr als 2.000 Menschen, die in Krankenhäusern, Apotheken, Schulen, einem Gericht und anderen Einrichtungen beschäftigt waren. Ein Jüdischer Ordnungsdienst mit 200 Männern wurde ebenfalls vom Judenrat organisiert.

Ghetto-Kämpfer *
Tenenbaum *
Während des Jahres 1942 versuchten die verschiedenen Splittergruppen der jüdischen Jugendbewegung, eine gemeinsame Front für einen bewaffneten Kampf gegen die Deutschen zu bilden. Im August 1942 entstand dann der "Block Nr.1" oder auch "Front A" genannt, eine Untergrundbewegung aus Kommunisten, den sozialistischen "Bundisten" und Zionisten der "Ha-Shomer ha-Tsa'ir", geleitet von Edek Borak.
Im November 1942 kam Mordechai Tenenbaum (Josef Tamaroff) vom Warschauer Ghetto nach Bialystok, um den Widerstand zu unterstützen. So entstand der "Block Nr.2", der alle noch verbliebenen Widerstandskämpfer vereinigte. Auf Tenenbaums Initiative und von Barasz unterstützt, wurde ein Geheimarchiv eingerichtet, das man außerhalb des Ghettos verbarg. Die darin verwahrten Dokumente waren ein unschätzbares Dokument über die Existenz des Ghettos. Barasz stellte Tenenbaum große Geldsummen für die Beschaffung von Waffen zur Verfügung, die man von der polnischen Untergrundarmee "Armia Krajowa" (Heimatarmee) besorgen wollte, allerdings ohne Erfolg.

Wie auch manche Führungspersönlichkeiten in anderen Ghettos glaubte auch Barasz an das Prinzip "Rettung durch Arbeit". Am 21. Juni 1942 sagte er bei einer Massenversammlung der Juden in Bialystok:
"Wir haben alle unsere Einwohner in nützliche Elemente verwandelt. Unsere Sicherheit steht in direktem Zusammenhang mit unserer Arbeitsleistung... Es müssen Schritte unternommen werden, um dem Ghetto eine Daseinsberechtigung zu bringen, so dass wir toleriert werden könnten."
Am 11. Oktober 1942, als man schon die Aktion Reinhard spürte aber noch nicht recht daran glauben wollte, wandte sich Barasz an seine Ratsmitglieder und die Leiter der Ghettobetriebe:
"Es ist unbedingt erforderlich, dass wir Mittel und Wege finden um die Gefahr aufzuschieben oder wenigstens ihre Auswirkungen zu reduzieren."
Derartige Illusionen sollten jedoch bald zerstört werden. Zu dieser Zeit, als es noch mehr als 41.000 Juden im Ghetto Bialystok gab, erließ das RSHA den Befehl zur Liquidation aller Ghettos im Bezirk Bialystok und Deportation der darin lebenden Juden. Nur durch die Intervention militärischer und ziviler deutscher Stellen, die nicht auf die wertvollen jüdischen Zwangsarbeiter verzichten wollten, wurde die Auflösung des Ghettos in Bialystok noch einmal verschoben.

Bahnhof
Die Aufschiebung war nur kurz. Zwischen dem 5. und 12. Februar 1943 fand eine erste "Aktion" im Ghetto statt, bei der 2.000 Juden erschossen und 10.000 in 5 Transporten nach Treblinka in den Tod geschickt wurden.
Am 19. Februar fand in Bialystok eine Konferenz statt, die sich mit den weiteren Deportationen befasste. Man beschloss, das Ghetto mit seinen immer noch 30.000 Insassen aus ökonomischen Gründen bis zum Kriegsende bestehen zu lassen.
Schon im Sommer 1943 wurde der Beschluss von Himmler revidiert durch den Befehl zur sofortigen Ghetto-Auflösung. Weil er den deutschen Behörden in Bialystok nicht mehr traute, setzte Himmler für diese Aktion die Männer der Aktion Reinhard ein und Odilo Globocnik als Leiter.

In der Nacht zum 16. August 1943 umzingelten deutsche Polizei, SS und ukrainische Hilfstruppen das Ghetto. Barasz wurde zur Gestapo zitiert und darüber informiert, dass die Ghettobewohner nach Lublin gebracht werden sollten. Am Morgen konnten die Juden die Anordnung zur Deportation an den öffentlichen Plätzen lesen.
Während zehntausende Juden nun zum vorgeschriebenen Sammlungsort in der Jurowiecka-Straße strömten, begann der Untergrund zu revoltieren. Dies war nicht der erste Akt von Widerstand, denn zur Zeit der Deportationen im Februar 1943 war "Block Nr.1" bereits aktiv geworden. Damals hatten die Untergrundkämpfer erhebliche Verluste erlitten bei vergebenen Versuchen eines bewaffneten Widerstandes. Borak wurde damals gefangen und nach Treblinka gebracht. Nun begann jedoch ein verzweifelter, bewaffneter Kampf gegen die Deutschen.
Um 10 Uhr vormittags wurden die einzelnen Widerstandszellen bewaffnet und nahmen ihre Positionen ein. Ein Plan sah vor, dass man an der Smolna-Straße den Ghettozaun durchbrechen und in die umliegenden Wälder fliehen wollte. Während der folgenden fünf Tage entwickelte sich nun ein ungleicher Kampf zwischen den unzureichend bewaffneten und zahlenmäßig unterlegenen Widerständlern und deutschen Verbänden, die sogar durch Panzerfahrzeuge unterstützt wurden. Der Durchbruch durch den Zaun war nicht möglich. So zogen sich die Widerständler in einen Bunker in der Chmielna-Straße zurück, der aber am 19. August von den Deutschen entdeckt wurde. 71 Kämpfer wurden erschossen, einer überlebte. Am folgenden Tag, als auch die letzten Widerstandsnester vernichtet worden waren, starben Tenenbaum und Daniel Moskowicz, die gemeinsam den Aufstand geleitet hatten. Möglicherweise starben sie durch eigene Hand.
Es ist viel geschrieben worden über den Warschauer Ghettoaufstand, doch nicht über den genauso tapferen jüdischen Widerstand im Ghetto Bialystok.

Deportation August 1943
nach Majdanek
Die Deportationen begannen am 18. August und dauerten drei Tage. 7.600 Juden wurden nach Treblinka gebracht, tausende nach Majdanek, wo sie einer Selektion unterzogen wurden. Die Kräftigen schickte man weiter in die Zwangsarbeitslager Poniatowa, Blizyn oder nach Auschwitz.
Mehr als 1.200 Kinder zwischen 6 und 15 wurden am 23. August nach Terezin (Theresienstadt) deportiert, wo viele starben. Die Kranken lieferte man in die "Kleine Festung Theresienstadt" ein und prügelte sie zu Tode. Nach einigen Wochen schickten die Deutschen die noch lebenden Kinder nach Auschwitz-Birkenau, wo alle am 7. Oktober vergast wurden, zusammen mit 53 Erwachsenen, die freiwillige Begleitpersonen für die Kinder waren .

In Bialystok verblieb ein "Kleines Ghetto" mit 2.000 Juden. Nach drei Wochen wurde es ebenfalls liquidiert und alle Juden nach Majdanek gebracht. Unter ihnen waren auch Barasz und Rosenmann. Alle kamen am 3. November 1943 im Zuge der Aktion Erntefest um.

Bei der Ghetto-Liquidierung suchten die Deutschen am 16. August 43 Juden aus, unter ihnen Zalman Edelman und Shimon Amiel. Sie sollten dem Sonderkommando 1005 bei der Exhumierung und Verbrennung der bei den Ghetto-Liquidierungen vergrabenen Opfer helfen. Mit Ketten verbunden, wurden sie von Ort zu Ort im Distrikt Bialystok gebracht, um diese grauenvolle Arbeit zu verrichten. Drei Massengräber in Augustow enthielten 2.100 Leichen. Weitere Massengräber gab es in der Umgebung von Grodno, bei Staraya Krepost, in Novoshilovki, Kidl und Golnino bei Lomza.
Am 15. Mai 1944 konnten die Gefangenen entkommen. Edelman und Amiel waren zwei von nur neun Überlebenden der Gruppe.

Ghetto Ruinen #1
Ghetto Ruinen #2
Im Dezember 1942 war es einigen bewaffneten Widerständlern gelungen, das Ghetto zu verlassen. Zur Zeit des Aufstandes im Sommer 1943 hatten sich 150 Ghetto-Kämpfer den Partisanen angeschlossen, die die Deutschen bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 27. Juli 1944 in Atem hielten.

Bei Kriegsende waren nur noch 300 - 400 Juden aus Bialystok am Leben, entweder bei den Partisanen, in deutschen Lagern oder versteckt im "arischen" Teil der Stadt.
In der Nachkriegszeit lebten nur wenig mehr als 1.000 Juden in Bialystok, von denen aber nach und nach die meisten auswanderten. Heute lebt nur noch eine kleine Zahl von Juden unter 350.000 Einwohnern (2006).

Im Oktober 1949 stand Fritz Gustav Friedl, der ehemalige Gestapo-Chef von Bialystok, in der Stadt vor Gericht. Er war angeklagt wegen Kriegsverbrechen in Bialystok und in der nahe gelegenen Stadt Zabludow. In West-Deutschland kam es auch zu einigen Verfahren wegen Kriegsverbrechen in Bialystok und Umgebung, vorwiegend gegen Mitglieder von Einsatzgruppen oder Polizeibataillonen. Die für schuldig befundenen Angeklagten erhielten relativ moderate Strafen.

Fotos:
GFH *

Quellen:
1) Gutman, Israel ed. Encyclopedia of the Holocaust. Macmillan Publishing Company, New York, 1990
2) Hilberg, Raul. The Destruction of the European Jews. Yale University Press, New Haven 2003
3) Gilbert, Martin. The Holocaust. Collins, London 1986
4) Ehrenburg, Ilya and Grossman, Vasily ed. The Black Book. Yad Vashem, New York, 1981
5) Arad, Yitzhak. Belzec, Sobibor, Treblinka - The Operation Reinhard Death Camps. Indiana University Press, Bloomington and Indianapolis, 1987
6) Gilbert, Martin. Atlas of the Holocaust. William Morrow and Company Inc, New York, 1993
7) Browning, Christopher R., Ordinary Men – Reserve Police Battalion 101 and The Final Solution in Poland. Harper Collins, New York, 1992

50,000 Juden lebten im Ghetto


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